Am 17. Oktober 2025 stellte der Verein Historisches Camberg ein Sonderheft "Rockmusik - Camberg rockt - Bandgeschichten aus drei Jahrzehnten" vor. Im Heft wird auf den Seiten 19, 33, 52, 55 die TG-Turnhalle erwähnt, ohne nähere Erklärung. Die Abbildung einer Eintrittskarte „TG-Jugend präsentiert“(S. 52) – aufbewahrt von Hermann Birkenfelde - verweist beispielhaft auf ein Konzert am 3. April 1983.

Diese insgesamt eher knappe Erwähnung der TG-Halle wird nicht so ganz der Rolle gerecht, die die TG Camberg bei der Unterstützung der heimischen Musikkultur spielte. Jahrelang organisierte die TG-Jugend in unserer Halle Rockfestivals, mit Unterstützung des gesamten Vereins.
Wie es dazu kam, ist im folgenden, kleinen Artikel beschrieben – der eigentlich für das oben genannte Heft entstand, aber keine Aufnahme fand.
Wie die TG-Turnhalle zur Rockfestival-location werden konnte . . . .
. . . . dazu gibt der Blick in die Jahresberichte zu den TG-Jahresmitgliederversammlungen einen Hinweis. 1973 berichtet Roman Pflüger dort von einer Initiative des Deutschen Turner-Bundes, die die Schaffung selbstverwalteter Jugendeinheiten in den Vereinen vorschlug1). Jugendliche sollten ihre Belange selbstverantwortlich ordnen und adressieren können. Die Folgen der 68er Veränderungen erreichten auch die eher konservativen Turner! Roman trägt den Impuls in die Mitgliederversammlung. Bis zu diesem Zeitpunkt findet Jugendarbeit in Abteilungsform statt. Jugendliche tanzen und singen Volkstümliches, treten bei „Wimpelwettstreiten“ auf. Mitgliedschaft und Vorstand unterstützen die initiative. Denn wirklichen Zulauf und Vereinsbindung erreichte man nicht bei den Camberger Jugendlichen, jenseits des leistungsorientierten Sports.
1974 traten Urban Gubisch und Monika Thuy als Jugendwart und -wartin an und starteten außersportliche initiativen für „über Vierzehnjährige“. Und dann, am 15. Mi 1975, so der Jahresbericht zur Mitgliederversammlung im Frühjahr 1976, veranstaltet die Vereinsjugend „ein Beatfestival mit den Gruppen Phallus und Octopus“. Das von 180 Jugendlichen besuchte „. . . Meeting ergab einen Gewinn von 300,- DM“. Für 1976 kündigt man im Jahresbericht eine Folgeveranstaltung an.
Es folgten dann noch einige mehr! Meist unter dem Namen „TG-Rockfestival“, mit bis zu 1.000 Zuschauern. Nahezu jede „Camberger Band“ war bis Mitte der neunzehnhundertachtziger Jahre bei den Festivals vertreten, und auch einige überregionale Berühmtheiten. Alle nutzten die große Bühne für oft spektakuläre Auftritte. Die höchste mediale Aufmerksamkeit erreichte die TG-Rockfestivalserie mit dem Konzert „Markus, Joco und Schulsport“ am 3.April 1983. Es war die „Markus-Nena Hype-Zeit“, die TG-Jugend surfte auf der ND-Welle, und unserer Halle war Schauplatz für eine Fotosession der Jugendzeitschrift Bravo.
Länger Bestand hatte der Lumpenball, die „maskierte“ Konzertveranstaltung in der TG-Halle. Der hatte dort seine Heimat gefunden, nachdem das Jugendheim nicht mehr den Platz bot für die immer besser besuchte Veranstaltung an „Fassenachtfreitag“. Wie schon dort, waren die Stamps auch in der TG-Halle Inventar, und TG-Jugend und Kerbejahrgang gruppierten meist andere „Camberg Bands“ ins Vorprogramm.
Drei Notizen zum Ende:
Ecki Tschöpp, Wilfried Rudloff, Sigfried Jakobs, Michael Martin und Markus Mörl machten als Schüler zusammen Musik, sie nannten ihre Band „Phallus“. Skandal! Trotzdem traten sie beim ersten TG-Beatfestival auf – aber nicht unter diesem Namen. Denn bei Veranstaltungen der TG hatte es „political correct“ und nicht skandalös zuzugehen. Da war der Vorsitzende Heinz Müller hinterher. Die Jungs von der Pennälercombo benannten sich also für Plakat und Auftritt um in „Octopus“. Im Nachgang, beim Bericht zur Mitgliederversammlung im folgenden Jahr, war dieser Sachverhalt zumindest beim Protokollieren nicht mehr so ganz präsent. Aber dadurch wissen wir, wer hinter „Octopus“ steckte.
Werner Minor fragte mal an, ob eine Kölschrockband - man kannte sich aus der Chlodwigeck-Szene - in der TG-Halle auftreten könne. Die TG Jugend Verantwortlichen meinten, dass passe nicht so ganz in die Ausrichtung „Avantgarde und NDW“. So gab es keinen Auftritt in der Turnhalle ... - von BAP.
An der Turnhalle als Ort für viele Auftritte von „Camberg Bands“ zeigt sich ein für den Betrachtungszeitraum typisches Camberger Phänomen: Die Zusammenarbeit über verschiedenste gesellschaftliche Gruppierung und Ausrichtungen hinweg durch grundlegenden Zusammenhalt und verbindende Sozialisation (Roman Pflüger war in der KJG der Gruppenleiter der Minorsbuben, Monika Thuy Jugendwartin und Schwester der Bandpioniere - „The Stamps“ - aus der Lahnstraße) und den Willen, gemeinsam etwas zu bewegen.
Anmerkung:
1) Dazu mehr im DTB-Jahrbuch der Turnkunst 1973, 67. Jhg., Celle 1973, S. 7 ff
Die jugendzentrierte Öffnung der Vereine hin zu größerer kultureller Breite ist ein DTB – Schwerpunktthema dieses Jahres. Die Notwendigkeit hatte man wohl schon vorher erkannt. Nach dem Erfolg der fröhlichen, offenen Olympischen Spiele 1972 wussten die Funktionäre auch, dass eine Öffnung zu neuen Inhalten und Formaten funktionieren kann. Sie trauten sich, im Jahrbuch auch das „Wie“ zu formulieren – fast so revolutionär wie in den Jahren nach 1848, oder in den 1920er Jahren.
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Heinz Müller